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Unterwegs zur Lichtung – Projektionen voller Poesie und Leichtigkeit

Sieben Licht-Installationen zur „Luminale 2010“ an den den Hauptbahnhöfen
Mainz und Frankfurt sowie der S-Bahn-Linie 8

Bereits zum dritten Mal beteiligten sich das Institut für Mediengestaltung und die Lehreinheit Medien-Design unter der Leitung von Prof. Tjark Ihmels an der „Luminale“, dem alle zwei Jahre stattfindenden Lichtkunstfestival im Rhein-Main-Gebiet. Unter dem Titel „Lichtung“ setzten sich die Studierenden in diesem Jahr mit den Themenfeldern Urbanisation, Zivilisation, Mobilität und Natur auseinander und experimentierten mit dem Zusammenspiel von Licht und Architektur.

Große Herausforderung

Es gibt nur wenige Angebote im Studienalltag, die solch hohe Anforderungen an alle Teilnehmer stellen und dennoch gleichzeitig so große Attraktivität ausstrahlen, wie der Vorbereitungskurs für eine Teilnahme an der Luminale. Dabei resultieren sowohl die Anforderungen als auch die Attraktivität aus einer einzigartigen Konstellation von Rahmenbedingungen, die eine Festival-Teilnahme bietet. So stellt einerseits der zu leistende Spagat zwischen der geforderten künstlerischen Experimetierfreude bei der Ideenfindung und der soliden praxistauglichen Umsetzung eine gewaltige Herausforderung dar. Anderseits bietet das Festival seinen Teilnehmern die Aufmerksamkeit einer überregionalen, inzwischen internationalen Öffentlichkeit. Ein Geben und Nehmen auf hohem Niveau. Selbstverständlich nehmen Studierende eine solche Chance und Herausforderung gerne an.

Aber nicht nur für Studierende ist die Luminale interessant, in den vergangenen Jahren wuchs die Anzahl der konkurrierenden Projekte von Mal zu Mal, immer mehr renommierte Künstler aus dem In- und Ausland beteiligten sich und die ausgestellten Lichtkunstobjekte und -installationen wurden größer und spektakulärer (und damit auch teurer in ihrer Umsetzung). Zwar waren auch unsere Luminale-Projekte in den vergangenen Jahren gewachsen: Stellten wir (Harald Pulch, Joachim Wahler und ich) 2006 noch ein Projekt auf dem Dach des Medienhauses aus, waren es im Jahr 2008 bereits fünf Lichtinstallationen, die erstmals im Zuge eines Semesterprojektes entstanden und auf dem Mainzer HBF zu besichtigen waren. Für die Luminale 2010 (11.-16. April) bahnte sich aber nun eine neue Dimension an: Ich erhielt sowohl vom HBF Mainz als auch vom HBF Frankfurt das Angebot, an beiden Hauptbahnhöfen gleichzeitig Licht-Installationen mit Studierenden zu entwickeln. Eine Aufgabe dieser Größenordnung erhält man nicht alle Tage.

Vom Konzept bis zur Logistik

Auch wenn das Angebot auf Anhieb sehr verlockend klang, mussten im Vorfeld einige grundlegende Fragen beantwortet werden: Können Installationen in dieser Dimension noch Aufgabe des Studiums sein? Kann man Studierende mit ihrer studentischen Arbeit einer so großen Öffentlichkeit aussetzen, deren Erwartungshaltung inzwischen kaum noch zu erfüllen ist? Wie kann ich der Gefahr einer puren Leistungsschau nach dem abgewandelten Motto: Mein Licht strahlt „heller, höher, weiter“ entgehen, die nur dazu dient, sich gegen die Konkurrenz zu behaupten, Aufmerksamkeit zu erzeugen, koste es was es wolle? Wie kann ich bei der Größenordnung des Projektes sicherstellen, dass die Studierenden die Chance haben, eigenständige Projekte einzubringen und möglichst umfassende Erfahrungen zu sammeln? Die Grundvoraussetzungen für die Durchführung des Projektes waren deshalb folgende: Es muss eine inhaltliche Verbindung zwischen den beiden Bahnhöfen geben, die ein erlebbares Gesamt-Projekt entstehen lassen und der Bespielung beider Bahnhöfe einen nachvollziehbaren Sinn geben und es muss eine Logistik entwickelt werden, die es möglich macht, dass viele Einzelprojekte zu einem Ganzen und die Studierenden als „starke“ Gruppe zusammenwachsen können.

Unter diesen Vorgaben hat sich eine unerschrockene Gruppe von 12 Studierenden mit mir gemeinsam dieser großen Herausforderung gestellt. Es musste ein inhaltliches Konzept entwickelt werden, welches über mindestens zwei Standorte (Mainz und Frankfurt) hinweg die Idee als Ganzes zum Ausdruck brachte, es musste ausreichend Technik organisiert werden, um die riesigen zur Verfügung stehenden Flächen zu bespielen und es musste nicht zuletzt eine Logistik entwickelt werden, die für alle autretenden Probleme Handlungsfähigkeit garantierte (und es sind viele Probleme, die in einem solchen Projekt auftreten können)! Meine Hauptaufgaben waren es dann, eine funktionierende Gruppendynamik zu befördern, zu kritisieren, zu motivieren, zu kuratieren, Kontakte herzustellen und möglichst einen Gesamtüberblick zu behalten. Alle anderen Arbeiten haben die Studierenden selbstständig übernommen: In 4 Monaten Entwicklungszeit (von Oktober bis April) mussten sie künstlerische Konzeptionen, Programmierung, Realisierung, Finanzierung, Abstimmung mit unterschiedlichen Partnern und Logistik erarbeiten. Ein anspruchsvolles Programm! Jeder Studierende war in alle Belange einbezogen und hat unglaublich viel in diesem Projekt gelernt.

S-Bahn als Verbindungslinie

Um die angesprochene inhaltliche Verbindung zwischen den Bahnhöfen herstellen zu können, wurde gleich zu Beginn der Planungen beschlossen, den beiden Ausstellungsorten Mainz und Frankfurt noch einen weiteren hinzuzufügen: Die S-Bahn Linie S8, die zwischen beiden Bahnhöfen verkehrt. Claudia Cress und Anna Schoderer übernahmen die Aufgabe, Kontakt mit den Verantwortlichen der S-Bahn aufzunehmen und eine überzeugende Konzeption zu entwickeln, die es uns und den S-Bahn-Verantwortlichen ermöglichte, die S-Bahn-Linie in unser Gesamtkonzept mit aufzunehmen.

Carsten Altmann und Robert Meyer, die jeweils mit ihren Ausstellungsbeiträgen zur Luminale ihre Diplomarbeit absolvierten, bespielten zu zweit den Standort HBF Mainz und erarbeiteten für diesen Ort drei Installationen. Claudia Cress, Julian von Hopffgarten, Daniela Kulcsar, Daniel Mauthe, Erik Pfeiffer, Jan Ramroth, Pascal Schneider, Anna Schoderer und Kersten Stahl übernahmen den Frankfurter Hauptbahnhof und realisierten drei Projekte am und im Bahnhofsgebäude.

So entstanden in den Hauptbahnhöfen Frankfurt und Mainz und einem Zug der S-Bahnline S8 sieben Projektionen voller Poesie und Leichtigkeit. Unter dem Titel »Lichtung« setzten sich die Studierenden mit dem Themenfeldern Urbanisation, Zivilisation, Mobilität und Natur auseinander und experimentieren mit dem Zusammenspiel von Architektur und Licht.

Die Projekte

HBF Mainz:

»biotopic«

Auf der Außenfassade des HBF Mainz wurde eine Projektion gezeigt, die den Bahnhof mit aus der Natur entlehnten Formenspielen in einen künstlichen Dschungel verwandelte und den urbanen Raum in eine Atmosphäre der Verwilderung tauchte. (Altmann)

»liquid light«

In der Innenhalle des Mainzer HBF war eine Installation aus einer leuchtenden Membran angebracht, die durch osmotische Bewegung der Oberfläche Licht und Farben aufgriff und variierte und dadurch in den Raum eingriff und als Interpret zwischen Betrachter und Raum agierte. (Altmann / Meyer)

»presence in absence«

Eine athmosphärische Landschaft von sich bewegenden, leuchtenden Kegeln bewegte sich im ungenutzen Raum. Durch ihre Bewegungen und Schatten entwickelten sie eine neue Beziehung zwischen Betrachter und Stadt. (Meyer)

HBF Frankfurt

»Bahnhof Zoo«

Überdimensionale Lebewesen kletterten über die Fassade des Frankfurter Hauptbahnhofs. Schwärme von Tieren bildeten eine Symbiose mit der Architektur. Neue Welten entstanden für die wartenden Menschen, vielleicht entdeckten sie sogar Parallelen zur eigenen Spezies. (Mauthe, Ramrodt, Cress, von Hopffgarten)

»Ich war hier«

Die Eingangshalle des Hauptbahnhofs Frankfurt war Schauplatz der Installation »Ich war hier«. Die Passanten generierten durch Bewegung im Raum digitale Spuren, welche mittels mechanischer Kurbeln in ihrer Visualität verändert werden konnten. (Kulcsar, Pfeiffer, Schoderer, Schneider, Stahl)

»Office«

Das Hauptquartier des Lichtung-Teams während der Luminale 2010 befand sich in der B-Ebene. Der leer stehende Raum wurde von Außen wie Innen gestaltet. Er diente als Werkraum, Informationszentrale, Besprechungsraum und Spielwiese für Visuals. (gesamtes Team)

S-Bahn Linie S8

»S8«

Die verschiedenen Projekte des Instituts für Mediengestaltung am Frankfurter HBF und am Mainzer HBF wurden durch eine mobile Licht-Installation verbunden. Die S-Bahn-Linie S8 bildete eine »fahrende Lichtung«. Dafür wurden die Fenster und Türen des Zugs mit farbiger Folie verkleidet. So bot sich den Reisenden eine veränderte Innen- und Außensicht. Nachts wurde der S-Bahn-Zug zum beweglichen Lichtobjekt. (Cress, Schoderer)

Auch wenn die kurzen Projektbeschreibungen so einfach klingen und die Arbeiten in ihrer Erscheinungsform so mühelos anmuteten, soll dies keinesfalls darüber hinwegtäuschen, wieviel Detailarbeit, Frustration und Improvisation sich hinter der Realisierung der einzelnen Arbeiten verbirgt. Die aufmerksame Betrachtung der Fotografien wird vielleicht ein wenig Aufschluss über die geleistete Arbeit geben können, wenn man bedenkt, dass jede Folie des S-Bahn-Zuges mit der Hand ausgeschnitten, jede Strebe der Installation „presence in absence“ in Einzelfertigung hergestellt, die Tiere vom „Bahnhof Zoo“ in einem eigens angefertigten Modell des Frankfurter Bahnhofs im Frankfurter Zoo abgefilmt worden sind – und und und. Ganz zu schweigen von Stromausfällen, technischen Defekten, Geldknappheit und durchgeschnittenen Kabeln …

Insofern hatte der Abschluss des Projektes auch für alle Beteiligten den Charakter einer „Lichtung“, auf der man endlich, nach mühevoller Wanderung angekommen ist und befreit aufatmend die geleistete Arbeit genießen darf.

Wir danken allen Unterstützern, namentlich den Hauptbahnhöfen Frankfurt und Mainz und den Verantwortlichen der S-Bahn-Linie S8, die uns mit ihrem großen Vertrauen diese Arbeiten erst möglich gemacht haben.

Prof. Tjark Ihmels / Carsten Altmann / Andreas Conrad / Claudia Cress / Julian von Hopffgarten / Daniela Kulcsar / Daniel Mauthe / Robert Meyer / Erik Pfeiffer / Jan Ramroth / Pascal Schneider / Anna Schoderer / Kersten Stahl.

(erschienen in „Forum 1.11 / Das Magazin der Fachhochschule Mainz“, März 2011)