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Lichterloh Sieben Licht-Installationen zur Luminale 2012

Zwei „überdimensionale“ Dia-Projektoren, 100.000 Kabelbinder, 200 m Isolationskabel und 50 Maleranzüge waren einige der Hauptdarsteller der sieben Licht-Installationen, die 15 Studierende des Studiengangs Zeitbasierte Medien unter der Leitung von Prof. Tjark Ihmels vom 15. – 20. April 2012 anlässlich des Lichtkunstfestivals „Luminale“ am und im Frankfurter Hauptbahnhof und auf der Mainzer Zitadelle ausstellten.

Der Frankfurter Hauptbahnhof – eine Herausforderung

Spannender als ein Fazit – finde ich – ist ein Blick auf den Beginn eines solchen Projektes, auf all die entstehenden Fragen, die erst nach und nach eine Antwort und eine Lösung erhalten. Denn nur so kann ein wesentliches Merkmal mit beschrieben werden, welches die gemeinsame Arbeit am Ausstellungsprojekt „Lichterloh“ von Beginn an prägte: die allgegenwärtige Ungewissheit, ‚ob das wohl alles so funktioniert, wie gedacht‘. Denn der Hauptbahnhof Frankfurt, der uns auch dieses Jahr wieder eingeladen hatte, ausgewählte Flächen anlässlich der Luminale zu gestalten, ist sowohl wegen seiner Größe, seines Publikums, seiner Helligkeit und seiner hektischen Umgebung als Austellungsfläche eine wahrhaftige Herausforderung.

Natürlich kann und muss man bei der Planung einer solchen Ausstellung simulieren. Es werden maßstabsgetreue Modelle gebaut, die Räume vermessen und Computerprogramme mit den entsprechenden Daten gespeist. Technische Details werden vorab unter vergleichbaren Bedingungen getestet. Trotz all dieser hilfreichen Vorarbeiten bleiben aber im öffentlichen Raum entscheidende Faktoren unkalkulierbar. Einer dieser Faktoren ist der Mensch. 300.000 Reisende strömen täglich durch den Frankfurter Hauptbahnhof. Unter ihnen trifft man nicht ausschließlich auf Kulturinteressierte. Am Aufbau-Samstag „interessierten“ sich plötzlich stark alkoholisierte Anhänger der Zweitbundesligavereine FC Erzgebirge Aue und Eintracht Frankfurt -Erstere unterlegen, Zweitere siegreich – für unsere Installationen. Sie suchten nach Halt für ihr Gleichgewicht und nach Adressaten für ihre grundlegende Meinung zur Kunst-im-Allgemeinen. Einige unserer Installationen wurden in den darauffolgenden Tagen von Kindern als Klettergerüst und von Obdachlosen als kultivierter Schlafplatz interpretiert. Auch mit großer Erfahrung lässt sich nicht jedes dieser „Nutzungs-Konzepte“ vorhersehen. Eines muss allerdings von vornherein klar sein: Es ist auch mit mutwiller Zerstörung zu rechnen!

Berühren erwünscht

Vor diesem Hintergrund erscheint die Frage: wie „offen“ und „einladend“ die zum Teil interaktiven Arbeiten gestaltet werden sollen, als doch sehr entscheidend. Gelingt der Balance-Akt zwischen notwendiger Stabilität und künstlerisch gewünschter Fragilität? Am nachvollziehbarsten lässt sich die Suche nach dem Ausgleich zwischen diesen beiden konträren Anforderungen an Hand der Installation

Backbones

schildern. Kevin Röhl nutzte eine der Säulen im Zugangsbereich der S-Bahn in der stark frequentierten B-Ebene des Frankfurter Hauptbahnhofes als interaktive Installation. Durch Berührung von Tenkakel-ähnlichen Isolationskabeln, welche die Säule „fell-artig“ umhüllten, konnten die Besucher Licht- und Ton-Stimmungen beeinflussen. Um dies zu erreichen, musste als erstes ganz unmissverständlich die Botschaft versendet werden: Berühren erwünscht! Nun ist in keiner Weise vorhersehbar, was Passanten, in unterschiedlichen Stimmungen und Zuständen unter einer Berührung verstehen. Es müssen also vom vorsichtigen Darüberstreichen bis zum gewalttätigen Ziehen alle möglichen Berührungsarten in die Planung einbezogen werden. Ein möglicher Lösungsansatz dafür könnte in der Verwendung hochwertiger Materialien liegen, die speziell für die genannten Anforderungen entwickelt wurden. Unser zur Verfügung stehendes Budget ließ dies allerdings nicht zu, so dass letztendlich Holzleisten und Insolationskabel zum Einsatz kamen. Nach zahlreichen Tests konnte eine befriedigende Lösung gefunden und aufgebaut werden. Doch trotz aller Planung und Vorausschau haben uns die Besucher überrascht. Denn sie haben in großer Anzahl – und dies ist besonders bemerkenswert, wenn man die Lokalität im Frankfurter Hauptbahnhof kennt – die Kabel in den Mund genommen und die Soundinstallation um eine Vielzahl an Trompetentönen bereichert.

Zwischen Dokumentation und Inszenierung

Der Ideenreichtum und die Lust auf Interaktion von Passanten waren auch für die Fassadenprojektion

Hinter den Schatten

von Seweryn Zelasny und Erik Freydank eine Grundvoraussetzung. Sie griffen mit ihrem Schattenspiel die Bewegungen auf dem Bahnhofsvorplatz auf und übertrugen sie in extremer Vergrößerung auf das Portal des Hauptbahnhofes. Die realen Schatten wurden mit virtuellen, scherenschnittartigen Landschaftssilhouetten kombiniert. Auf diese Weise entstand ein Spiel zwischen Inszenierung und Dokumentation, das in seiner Selbstverständlichkeit und Leichtigkeit keinen Hinweis auf die Komplexität der notwendigen Vorarbeiten und Abwägungen offenlegte. Ausgehend von diebstahlsicheren und unfallvermeidenden Aufbauten auf dem unbewachten Bahnhofsvorplatz, bis zur Minimierung der Blendungsgefahr durch die starken Lampen, gab es wesentliche Entscheidungen zu treffen und Lösungen zu finden.

Für die Realisierung der Videoinstallation

Unterflächenspannung

von Alexandros Konstantaras, Marie-Claire Magnet, Erik Pfeiffer und Nicole Schreck, die sich mit dem Thema „Gewalt im öffentlichen Raum“ ausseinandersetzte, war die Interaktion, mit all ihren Anforderungen im öffentlichen Raum, ebenfalls eine inhaltliche Grundvoraussetzung.

Aber nicht nur die Interaktionen mit dem Publikum, auch die spezifische Situation der kommerziellen Raumnutzung bietet einiges an Unvorhersehbarkeiten. Denn welche Werbeaktionen parallel zur Ausstellung geplant sind, mit welcher Form, Größe und Art von Werbemaßnahmen die Ausstellungsobjekte konfrontiert werden, ist im Vorfeld auf Grund der Schnelllebigkeit von Werbeaktionen nicht prognostizierbar. Die ausgestellen Lichtkunst-Installationen mussten also neben den bereits beschriebenen Funktionsanforderungen Stabilität und Vandalismus-Resistenz, auch über eine raumgreifende Ausstrahlung verfügen, die ihnen die notwendige Unabhängigkeit von möglichen Werbeauftritten und Dominanz gegenüber der Größe des Raumes ermöglicht. Die beiden Skulpturen

Lichthaven

von Julia Schraft und

Lichtstation

von Denise Bischof, Markus Ellner, Isabelle Hein, Patricia Jankowski und Philip Vogel stellten sich dieser Aufgabe in der Eingangshalle, die Projektion

Wasserblitz

von Katherina Mazur in einem ehemaligen Fahrkartenschalter in der B-Ebene des Hauptbahnhofes.

Alle drei Arbeiten erforderten ein großes Abstraktionsvermögen. Eine Skulptur wie Lichthaven, bestehend aus der „Verknotung“ von 100.000 Kabelbindern, lässt sich nicht millimetergenau planen. Sie muss „flexibel“ angelegt sein, denn allein der Arbeitsaufwand des „Zippens“ dieser riesigen Materialmenge ermöglicht keinen zweiten Versuch. Solche Arbeiten müssen aber nicht nur in sich, sondern auch im Kontext zu anderen Arbeiten gedacht werden – so wie Lichthaven und Lichtstation, die beide gemeinsam der Eingangshalle ein raumgreifendes Gepräge geben sollten. Die filigranen Formen und das unaufdringliche Licht-Spiel mussten gemeinsam gedacht und in einen Bezug zum Gesamtraum gesetzt werden, so wie Wasserblitz nicht ohne den Fahrkartenschalter denkbar ist.

Weg durch viele Unvorhersehbarkeiten

Ein dritter Aspekt des Unvorhersehbaren soll diesen kleinen Bericht abrunden. Auch die Arbeiten selbst entwickeln sich – und fordern in ihrer Entwicklung teilweise Veränderungen des ursprünglichen Konzeptes. So wurde die Skulptur

Lichtarmee

von Aline Koch auch als Installation für den Frankfurter Hauptbahnhof geplant. Es zeigte sich aber, je intensiver die Vorbereitungen vorangetrieben wurden, dass dieses assoziative Objekt seine ganze Kraft vor allem auf einer großen stillen Fläche mit nahezu vollständiger Dunkelheit entwickeln kann. Diese Bedingungen waren am Hauptbahnhof Frankfurt nicht zu gewährleisten. Aus diesem Grunde wurde diese Skulptur in die Luminale-Ausstellung „Zitadelle Mainz 2012“ aufgenommen, die von der Gestaltergemeinschaft TipTopExpress kuratiert wurde – und mit deren Mitgliedern über die gesamte Vorbereitungszeit eine kollegiale und enge Zusammenarbeit stattgefunden hatte.

Für die Besucher aller dieser Installationen wird der Rückblick auf eine außergewöhnliche Ausstellung – für die beteiligten Künstler wird vor allem auch der gemeinsame Weg durch viele Unvorhersehbarkeiten in Erinnerung bleiben. Ich jedenfalls habe die intensive Auseinandersetzung, das gemeinsame Ringen um Formen und Inhalte sehr genossen. Zum Abschluss gilt unser Dank dem Hauptbahnhof Frankfurt für sein Vertrauen und Chris Schlaadt für seine organisatorische Unterstützung.

Beteiligte Künstler: Alexandros Konstantaras, Aline Koch, Chris Schlaadt, Denise Bischof, Erik Freydank, Erik Pfeiffer, Isabelle Hein, Julia Schraft, Katharina Mazur, Kevin Röhl, Marie-Claire Magnet, Markus Ellner, Nicole Schreck, Patricia Jankowski, Philip Vogel, Seweryn Zelazny, Prof. Tjark Ihmels.

(erschienen in „Forum 2.12 / Das Magazin der Fachhochschule Mainz“, Oktober 2012)